Das Schloss in den Wolken  

 

Es war einmal ein kecker Bursche, der in die Welt und in das Leben zog. Er hatte soeben auf dem Markte eine kleine hölzerne Flöte gekauft. Noch wusste er nicht, was er damit anfangen sollte, aber eine Flöte hatte er sich schon immer gewünscht. So ging unser Gesell fröhlich singend des Weges. Am späten Abend kam er an ein Stoppelfeld, auf dem er sich ein Nachtlager bereitete. Bevor er sich zur Ruhe legte, lehrte er sich ein Lied auf der Flöte. Dieses klang sonderbar schön. Früh am nächsten Morgen ging er weiter. Wie's ihm gerade in den Sinn kam. Diesmal baute er sich ein Nachtlager auf einer Lichtung nahe am Wald. In der Nacht wachte er auf, und weil er nicht wieder einschlafen konnte, spielte er das Lied, welches er am vorigen Abend gelernt hatte. Er lehrte sich aber auch ein neues, noch schöneres Lied. Plötzlich glaubte er zu träumen, er sah, wie sich der Himmel vor ihm öffnete. Verwundert rieb sich unser Gesell durch die Augen. Aber er träumte nicht. Vor ihm führte eine Treppe hinauf in den Himmel; er packte all seine Sachen zusammen und bestieg diese sonderbare Treppe. Sie führte hinauf in die Wolken. entfernt konnte er etwas schimmern sehen in der Sonne - es war bereits morgens. Er ging darauf zu. Bald konnte er es erkennen, man sollte es nicht glauben, aber es war - es war ein Schloss in den Wolken, besser gesagt ein verwunschenes Schloss. Es war nicht bewohnt. Der Knabe ging durch viele Kammern und kam schließlich in einen großen Saal; hier stand der Thron. An der Wand hing ein Stein, der hatte eine sonderbare Inschrift. Da stand: "Wer dem groben Wüterich den Garaus macht, wird das Schloss erlösen. Aber dieser mutige Bursche muss etwas ganz Besonderes besitzen. Der Wüterich lebt eine Meile vom Schloss entfernt, im finsteren Eichenwald." Der kluge Bursche ahnte sofort, wer damit gemeint war. Es musste ein Riese sein. Also machte er sich auf den Weg. Christian und André war noch nicht weit gegangen, da sah er eine Eule auf einem Baum sitzen; sie sprach zu ihm: "Du bist wohl auf dem Weg zum Riesen? Hier, nimm dieses Zauberpferd, damit wird es schneller gehen." "Danke schön", sprach der Gesell. "Warte noch einen Augenblick", riet ihm die Eule, "ich will dir einen Rat geben. Weißt du, der Riese ist eigentlich ein Mensch. Du kannst ihn mit deiner Flöte verwandeln. Du musst das Lied spielen, das du gespielt hast, als du zu uns kamst - nur rückwärts. Nun leb wohl." "Vielen Dank", sprach der Bursche und war verschwunden. Schon war er beim Eichenwald. Er stieg vom Pferd und ging in den Wald. Bald hörte er ein lautes Stapfen, das musste der Riese sein. "Was suchest du armselige Kreatur in meinem Walde? Hat man dir nicht gesagt, dass ich der Herrscher über alles bin? Ich kann dir jämmerlichem Wicht mit einem Schlag den Garaus machen!" Der Bursche antwortete nicht, spielte nur sein Lied rückwärts - da wurde der Riese immer kleiner. Plötzlich gab es einen Ruck, und das Schloss stand unten auf der Erde. Sogleich wurde alles lebendig, und sie feierten ein großes Fest. Der junge Bursche bekam die Prinzessin zur Frau. Die Flöte aber bewahrte er gut auf, wer weiß, wann er sie noch einmal gebrauchen konnte.

(Ausgedacht und aufgeschrieben im Dezember 1996 von der elfjährigen Sonja)

© Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Soest